You are currently viewing Ein Bahnhof und der Duft von Vaniglia

Heute fahre ich wieder einmal Zug. Für meine Reise muss ich viermal umsteigen. Der Fahrplan sieht jeweils einen längeren Aufenthalt vor und so lerne ich beispielsweise den Bahnhof Aarau ein bisschen besser kennen. Es gelüstete mich nach einer Süssigkeit. Nichts Grosses, kein Eis. Eine Lindor-Kugel vielleicht. Als ich durch die Unterführung spaziere, schwebt mir ein Vanilleduft entgegen. So, als ob ein Blech «Cornetti» direkt aus dem Ofen gezogen würde. Hmmm, kannst du dir vorstellen, was da mit einem passiert? Das Wasser läuft im Mund zusammen und man wähnt sich in seiner italienischen Kaffeebar auf der Piazza neben der Kirche.

In «meiner» Bar bestellte ich jeweils einen Cappuccino und nahm aus dem Körbchen am Tresen ein lauwarmes «Cornetto». Dorthin kehrte ich während meinem Sommeraufenthalt in Italien immer wieder zurück. Ah, wie schön waren jene vier Wochen, als ich bei Freunden im Agriturismo aushalf und nebenbei ein Sprachbad nahm. Der Agriturismo von Familie Lombardo lag im Piemont etwas ausserhalb von Gavi hinter einem schmiedeeisernen Tor. Ein Sandsteinbau mit Innenhof, wie eine alte römische Villa. Auf der einen Seite die Wohnung und Gästezimmer sowie das Restaurant, auf der anderen die Stallungen der Pferde der Tochter. Ich wohnte auf der ersten Etage mit Blick auf den Pool in einem Zimmer, das mir der Sohn überlassen hatte und selbst in eine Besenkammer gezogen war. Wir teilten uns zu fünft ein winziges Bad, dessen Boden platschnass wurde, wenn man duschte.

«Wir teilten uns zu fünft ein winziges Bad, dessen Boden platschnass wurde, wenn man duschte.»

Der Agriturismo wurde von jenen Dörflern besucht, die etwas auf sich hielten und nicht ins gemeindeeigene Freibad mit Fleischmarkt-Charakter wollten. Auch gut betuchte Genueser fuhren am Wochenende in die Hügel und entkamen so schon damals – in den 1990er-Jahren – der Hitze der Stadt. Manchmal wurden auch private Partys gefeiert. Oh, ich erinnere mich an eine Hollywood-Hochzeit. Es wurden trockener «Gavi die Gavi» ausgeschenkt und Focaccia gereicht sowie gefüllte Zucchini-Blüten. Und Reiskuchen – ich kostete zum ersten Mal Reiskuchen! Die Reiskörner satt gelb vom würzigen Safran. Für mich ungewöhnlich, kannte ich bis dahin nur Früchtewähen mit Eiguss und Käsekuchen.

Nach Sonnenuntergang, als der Pool wie ein geschliffener Topas funkelte und die leeren Teller vergessen auf den Tischen standen, sprangen die Gäste mitsamt den Spumantegläsern in den Pool. Sie spritzen und kreischten und die Braut weinte ein wenig, als sie wie ein nasser Pudel aus dem Wasser stieg. Es schien, als ob die Reinheit des Festes mit dem aufkommenden Nachtwind davon gewindet worden wäre.

«Nach Sonnenuntergang, als der Pool wie ein Topas funkelte und die leeren Teller vergessen auf den Tischen standen, sprangen die Gäste mitsamt den Spumantegläsern ins Poolwasser.»

Nun stehe ich in diesem Feinkostgeschäft mit wunderbaren italienischen Verheissungen und will eigentlich bloss eine kleine Süssigkeit naschen, ein «Baci» oder ein «Tartufo». Keinen Reiskuchen oder so. Ich nehme mich zusammen. Tapfer schreite ich an der Patisserieauslage vorbei, hinter der ein Signore mit Schürze ein Blech aus dem Backofen zieht. Er spielt mir ein «Buonasera» zu und legt die «Cornetti die Crema» ins Regal.

Mit dem «Vaniglia»-Duft in der Nase schlendere ich weiter durch das Geschäft, vorbei an den «Invotini di Carota», an «Pomodori secchi» und «Condimento per Crostini». Ich lasse die Augen weiden an den «Pasticcerie da aperitivo». Grissini und «Taralli». Ich nehme eine Packung in die Hand, überlegte mir, wen ich damit beschenken könnte – lege sie schweren Herzens wieder zurück, weil ich mir in Erinnerung rufe, dass mein Vorratsschrank voll ist.

Nach geschlagenen zwanzig Minuten, sehe ich mich an der Kasse wieder. Aus dem Einkaufskorb lege ich Dinge auf die Theke, die unheimlich lecker aussehen und riechen. Die Verkäuferin liest sie ins System ein, reicht mir eine extra grosse Tasche und nennt dann einen ziemlich hohen Betrag, der mich staunen lässt – und sagt dann noch sehr nett per favore.