You are currently viewing Mit dem roten Pfeil in den Stiefel
Im Bahnhof Milano Centrale steigen wir um. Der Alltag liegt hinter uns, die Vorfreude auf Süditalien wächst.

Unsere Bikes sind zu zwei grossen Paketen geschnürt. Die Räder haben wir abmontiert und als Schutz für die sensiblen Schaltteile an die hinteren Rahmen gezurrt. Jetzt liegen sie gut verpackt im Gang des Frecciarossa, dem Zug, der uns in nur sieben Stunden von Mailand nach Bari bringt.

Wers schafft, da ein Velöli reinzuschmuggeln, darf sich auf die Schultern klopfen. Unter den Tipps erfährst du, was wir meinen.

Die Abenddämmerung kommt mit uns in Bari an. Ich hatte es mir klischiert vorgestellt: historische Altstadt, Touristen in Badelatschen, Souvenirs made in China.

Im Oktober zeigt sich ein anderes Bild: Vor den Bars unterhalten sich Einheimische, unter den Fenstern hängt Wäsche zum Trocknen und der Duft von einer leise gekochten Salsa zieht durch die Gassen. Die Türen zu den Altstadtwohnungen stehen offen, der Wind bewegt die Vorhänge und bieten uns unverhoffte Einblicke in die einfachen Küchen der süditalienischen Nonnas. Der Boden glänzt. Grosser Tisch. Herd. Töpfe. Der Fernseher läuft.

Die Bikes haben wir wieder zusammengebaut. Nun führen uns Feldwege von Bari nach Castellana Grotto. Die Landschaft zieht an uns vorbei, darunter verlassene Palazzi, gepflegte Gemüsegärten, Olivenhaine und Rebberge. Verstohlen kosten wir ein paar Weintrauben, die neckisch am Strassenrand reifen. Sie sind klein, schwarz und schmecken nach Sauser und Lakritze. 

Ein Bauer muss uns beobachtet haben. Er parkiert seinen Wagen neben uns. Ich erröte ein wenig, erwarte ein Crescendo. Doch als er aussteigt, winkt er uns heran und ruft: «Andiamo, voglio mostrargli qualcosa.»

Obwohl er gegen die siebzig geht, schreitet er kräftig aus. Seine sehnigen Hände verraten seine Arbeitsamkeit und sein Bauch, dass er dem Genuss nicht abgeneigt ist. Er duckt sich unter die Pergola und holt aus. Kurz schaut er sich um, ob ich wirklich folge. Er winkt noch einmal und unterstreicht die Geste mit einem «andiamo». Er führt mich unter die dichte Pergola, gross wie ein Fussballfeld.

Die Rebstöcke sind leer, denn die Trauben sind geerntet. Was er mir wohl zeigen will?

Schliesslich meint er: «Eccoli qui».

Da hängen Traubenrispen von den Ästen bis ins Gesicht. Die Trauben sind fast so gross wie Mirabellen. Ich koste. Der Zuckersaft explodiert in meinem Gaumen, mischt sich mit einer angenehmen Säure. Der Bauer schneidet zwei grosse Rispen ab und reicht sie mir. Sie sind schwer, mindestens zwei Kilogramm wiegen sie.

Nun schreitet er wieder aus, geht zu einer anderen Sorte und reicht mir Rispe um Rispe, bis ich nicht mehr weiss, wie ich sie halten soll. Schliesslich scheinen wir alle Traubensorten gefunden zu haben. Wir kehren um. Der Alte erzählt mir alles über die Tafeltrauben erzählt: Namen, Herkunft und vieles mehr.

Ich verstehe nur die Hälfte und merken kann ich mir auch nur eine der vielen Traubensorten, nämlich den Namen der geläufigsten: die Uva Italia, eine Tafeltraube, die man auch in der Schweiz kaufen kann.

Eine der Traubensorten aber überrascht mich. Die Beeren sind nachtschwarz, lang und schmal. Sie schmecken nach Brombeere, Sonne und Tanin. Sie wachsen in der Regel in Algerien oder Griechenland, auf jeden Fall südlicher als Apulien, wie mir der Mann erzählt. Dem Klimawandel sei dank, dass sie nun auch hier gedeihen. Schade, habe ich den Namen dieser bemerkenswerten Sorte vergessen, ich hätte gerne mehr über sie erfahren.

 

Der Bauer besteht darauf, uns den ganzen Berg Trauben zu schenken. Wir wissen nicht wohin damit. Jürg wird erfinderisch: In Tüten, Rucksäcke und am Lenker gar baumeln sie nun lässig, schon fast lästig. Obwohl wir tapfer essen, beäugen sie uns in jedem Augenblick. Der Bauer hupt zum Abschied zweimal und fährt los. Wir winken, wobei ein Bündel Trauben zu Boden fällt.

Oje, es wird nicht das einzige bleiben.

Glücklicherweise begegnen wir kurze Zeit später zwei älteren Damen. Wir machen es dem Bauern gleich und beschenken sie mit Unmengen von Trauben. Sie sagen: Grazie.

Wir auch.

Gut zu wissen:

  • Bern-Bari: Die Verbindung Bern-Mailand-Bari fährt täglich. Abfahrt in Bern ist jeweils 7.34 Uhr.
  • Beim Umsteigen in Mailand sollte man die Bikes sofort im Frecciarossa verstauen, bevor die Reisenden mit den grossen Koffern kommen, dann haben sie möglicherweise noch in der Gepäckablage Platz. 
  • Nicht jedes Frecciarossa-Modell verfügt über eine Gepäckablage, dann das Bike im Gang abstellen und mit Spannset am Handlauf festzurren.
  • Die Zugbegleiter sind teilweise streng und drohen einen sogar aus dem Zug zu schmeissen, wenn man die Bikes nicht nach Vorschrift verräumt. Am eigenen Leib erlebt … Folgt den Hinweisen auf Trenitalia.
  • Haltet diese Infos der Trenitalia-Website griffbereit, wenn die Zugbegleiter sich beschweren.