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Alltag & Kurkuma

Das Mädchen marschiert zwischen zwei Damen vom Typ Spieler-Frau in den kleinen Park am Breitenrain. Im Schatten des Stadtbaumes, dessen Äste bis auf die Straße reichen, stehen drei Holztische. Hier trifft sich Bern, um die berühmteste Glace der Stadt zu essen. In der Hitzewelle, die der Klimawandel mit sich bringt, schmilzt es, bevor es die Zunge berührt. Das Mädchen setzt sich dir gegenüber auf die Bank und schaut dir in die Augen. Du siehst darin eine Tiefe, die dich überrascht.

Die beiden Frauen sind in ein Gespräch vertieft. Ihre Gesichter glänzen nicht wie die der anderen, die den ganzen Tag gearbeitet haben. Sie tragen teuren Puder und sportliche Kleider in eleganten, zurückhaltenden Farben. Das Haar wallt offen und trotz der sommerlichen Temperaturen steigt einem ein dezenter Parfumduft in die Nase, als hätten sie sich gerade frisch gemacht.

Das Mädchen isst sein Eis und schaut dich prüfend an, als wolle sie wissen, was du von den Dreien hältst. Ein Nachmittagsausflug von Mutter, Tochter und Tante, eine nette Familienangelegenheit.

Das Mädchen schaut. Du schaust gelegentlich zurück. Sie schaut weiter und bringt dich dazu, du weisst nicht warum, die Kopfhörer abzunehmen. Nur für den Fall, dass sie dir etwas sagen will.

Das Mädchen quittiert deine Handlung mit einem lässigen Desinteresse, als hätte sie dich nie herausgefordert. Aber jetzt ist es zu spät. Du bist neugierig geworden, und die Gesprächsfetzen der Erwachsenen kitzeln an deinem Ohr.

Dame A: Ich wollte ein schlichtes Design, zeigte es ihr sogar – aber sie brauchte ewig, und am Ende war’s unsauber. Für 90 Stutz will ich nicht zwei Stunden sitzen und warten.
Dame B: Dabei sieht man das kaum. Man schaut ja nie beide Hände gleichzeitig an.
Dame A: Trotzdem, sie war gestresst, und es wartete schon die Nächste. Da geh ich nächstes Mal lieber woanders hin.

So ging das hin und her, zehn Minuten lang. Man kann sich nur wundern, welche Banalitäten über den Kopf des Mädchens hinweg besprochen werden. Gehört das nachdenkliche Mädchen wirklich zu den beiden Frauen, deren Lebenskern die eigene Schönheit zu sein scheint? Oder wird das Kind von den beiden nur gehütet oder gar zur Imagepflege ausgeliehen? Tausend Gedanken gehen dir durch den Kopf.

Du stellst dir vor, dass sich das Kind über die Belanglosigkeit des Gesprächs ärgert. Dass es ganz andere Dinge studiert, über den Klimawandel nachdenkt und die Dringlichkeit des Handelns für eine gesunde Welt versteht. Ich glaube, in ihm eine neue Greta Thunberg zu erkennen, noch zu klein, um sich im eigenen Familienkreis durchzusetzen. Aber schon geimpft mit dem Geist, die Welt vor dem Untergang zu retten.

Sie wird biologische Produkte einkaufen, Fleisch meiden und demonstrieren. Sie wird NGOs präsidieren, sich ins Parlament wählen lassen und Millionen für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs durchsetzen. Sie wird neue Technologien gesetzlich verankern und Klimasündern mit Strafen drohen.

Während die Frauen schnatternd einpacken, kannst du die Augen nicht von diesem Mädchen lassen.

Sie wirft die Eisbecher in den Müll und geht mit erwachsenen Schritten in Richtung Laden. Die Frauen folgen ihr.