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Alltag & Kurkuma

Du wartest in der Bahnhofhalle auf deine Freundin, sie ist verspätet. Du schaust den Pendlern zu, die an dir vorbeieilen. Auf einmal möchtest du ganz dringend erfahren, wie sich Pendler anhören. Du schliesst die Augen und stellst dir nichts vor. Du hörst keine eilenden Schritte und auch keine Begrüssungsrufe. Nein, in deinen Gehörgang schlängelt sich – überraschenderweise – Vogelgesang.

Es zwitschert etwa so wie auf dem Bärenplatz in der Bundesstadt, wenn du unter den Bäumen innehältst. Dort, wo die drallen Spatzen auf Bistro-Stühlen um Brotkrümel betteln, zwischen Menschenfüssen und Tischbeinen hüpfen. Dort, wo die Männer Schach spielen mit ernsthaften Minen, wo Kleinkinder grossen Seifenblasen hinterherrennen und Mütter ihre Kamera auf den Nachwuchs richten. Dort, wo die Blumenfrau frische Sträusse bindet und der Käsemann Rezenten und Milden zum Probieren gibt.

Doch du sitzt nicht in der Altstadt, sondern in der Bahnhofhalle und du fragst dich, ob die Spatzen irgendwo auf einem metallenen Handlauf sitzen. Ob sie auf einem Vorsprung ein Nest aus Wegwerfpapier errichten. Vielleicht fliegen sie über den Rolltreppen um die Wette. Oder sie jagen nach den Zügen, die sich minütlich aus dem Bahnhof schieben.

Du öffnest die Augen, um das alles zu erfahren. Du streckst den Hals, verdrehst die Augen, doch du findest keine Spatzen, nicht mal Tauben. Und du stellst dir eine einfache Frage: Ob das Zwitschern bloss aus Lautsprechern schallt? Ganz bewusst vom Bundesrat in Auftrag gegeben, mit der einzigen Intension, all die Bundesbeamten zu beruhigen, die täglich von ihren Amts- in die Wohnstuben pendeln. Das banale Zwitschern soll ihren Kummer beruhigen, wenn sie wieder Unsinn produzieren oder die Bürokratie auf die Spitze treiben müssen.

Du schaust dir die Menschen an und siehst tatsächlich einen grauen Mann mit Aktentasche, Hut und langsamem Gang. Auf einmal besinnt er sich, hebt die Achseln und lockert die Schultern. Da fallen sie zu Boden, all die Paragrafen, Normen und Statuten. Leblos liegen sie auf einem Haufen. Und dann kommen sie, die Spatzen, in Schwärmen. Sie picken sich die Paragrafen, Normen und Statuten und bringen sie zurück in die Bundeshausstuben.