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Alltag & Kurkuma

Auf dem geplästerten Vorplatz steht ein VW-Bus Jahrgang 1988. Nur die rostfreien Räder verraten, dass er regelmässig gefahren wird. Die Vögel zwitschern den Morgen wach. Irgendwo bimmeln Kuhglocken. Ein Flugzeug fliegt gegen Süden. Sie öffnet die Bustür und saugt gesunde Bergluft ein, die ihre vom Schlaf heisse Lunge kühlt. Beim Haus verströmen Terrassenstühle aus Kunsttextilen einen Schein von Modernität. Sie sind gestapelt und unters Vordach geschoben.

Ein Mann mit Bart in Arbeitskleidern kommt hinter dem Haus hervor, legt sein Werkzeug behutsam gegen den Lattenzaun. Seine Bewegungen sind lautlos, jede Regung achtsam, fast orchestriert. Er sucht in seinen Taschen nach etwas, das er nicht findet, sucht noch im Schopf nebenan. Jetzt behändigt er die Sense vom Zaun. Seine Hände umschliessen das Holz, es ist vom vielen Brauchen sehnig geworden, erzählt die Geschichte von Schweiss, stotzigen Hängen und Blasen. Als die Haut noch zart gewesen war, sprangen sie öfter auf.

Mit leicht gekrümmtem Rücken und baren Füssen geht er über den nachtkalten Stein, verlangsamt seinen Schritt in der Mitte, sein Blick tastet zu ihr herüber, um zu erfahren, wie willkommen er sei. Er sagt «Guten Morgen».

Sie lässt die Kaffeetasse sinken. Ihre Stimme grüsst rau zurück. Er sagt er werde nun hinter dem Van das Feld leise mähen.

Leise.

Das Wort gefällt ihr, sie fragt, weshalb er leise mähe. Er meint, mit der Sense mähe er nicht gleich viel wie mit dem Motormäher, damit nämlich schneide er zu viel. So viel, dass er nicht mehr im Stand sei, das Heu von Hand einzubringen.

Das leuchtet ihr ein.

Sie nimmt einen Schluck Kaffee.

Er setzt wieder an: Er bringe das Heu für seine Geissen ein, eine spezielle Kreuzung aus Steinbock und Hausziege, den Fachbegriff Steinbockbastard braucht er nicht, wird ihr später durch den Kopf gehen, nachdem sie die Rasse gegoogelt haben wird. Dafür erzählt er von seinen dreizehn Tieren, die er im Frühling auf die Alp getrieben hatte, von fernem Glockengebimmel, wenn er sie im Sommer besuche, und vom Salz, das er mitbringe. Rufe er sie, kämen sie angerannt und leckten das Salz aus seiner Hand, während sie mit ihren Hufen auf seine Füsse treten.

Von Verlust.

Vom Wolf. Letzthin habe er nur neun Tiere angetroffen. Trotzdem habe er die Hoffnung nicht verloren. Sein Gesicht verschliesst sich, während er auf die Matte schaut. Aber jetzt müsse er die Matte mähen.

Er verlässt leise das Plätzchen, umrundete den Van und setzt die Sense an. Halm um Halm, alles fällt, die Ecken mit präzisen Schnitten ausgemäht und das Heu auf der Wiese verteilt. Sie holt ein Buch und lehnt an einen Baum.