You are currently viewing Ein Silbergrauer, ein weisser Pfeil und eine Strassenrebellion
Alltag & Kurkuma

 

 

Ich lenke meinen silbergrauen Peugeot durch eine vertraute Strasse im Berner Oberland. Die Dämmerung senkt sich über die Landschaft, alles wirkt frisch, das Gewitter hat ganze Arbeit geleistet.

Die Strecke bin ich unzählige Male gefahren. Ich kenne jede Kurve. Mein Peugeot liegt gut auf der Strasse, zieht sauber durch. Plötzlich: ein Auto klebt an meinem Heck.

Auf der nächsten Geraden überholt es. Ein weisser Kombi, unscheinbar, aber mit Tempo. Ich schaue auf den Tacho: 90. Ich bin bereits zu schnell – und der flitzt an mir vorbei, als wäre ich ein Verkehrshindernis. Muss das sein?

Ich denke kurz: Wenn er jetzt geblitzt wird, wäre das fast gerecht. Dann würde es wenigstens Konsequenzen geben. Vielleicht eine Busse, vielleicht Fahrverbot. Was treibt ihn an? Technikfaszination? Gewohnheit? Oder will er einfach nur ein paar Minuten früher zu Hause sein? Aber was sind schon ein paar Minuten. Im Alltag geht so viel Zeit für Unsinn drauf.

Nach der nächsten Kurve muss ich bremsen. Bremslichter. Vor mir: der Kombi. Eingefangen von einem Wohnmobil. Jetzt tuckert er hinterher. Ich kann mir ein leises «Na bitte» nicht verkneifen. Kaum gedacht, setzt er wieder zum Überholen an – trotz durchgezogener Linie. Ich sehe nicht, ob es gutgeht.

Ich drehe die Musik lauter, Beatles. «Sun, sun, sun, here it comes.» Die Stimmung bessert sich. Der Wohnwagen biegt schliesslich ab, mein Peugeot nimmt Fahrt auf. Doch nur kurz: Ampel. Und vor mir steht wieder der Kombi.

Ich frage mich, wie oft ich ihn noch einholen werde. Ob wir bald gemeinsam Richtung Pass fahren, unfreiwillig synchronisiert. Und dann beginne ich zu überlegen: Was geht wohl in seinem Kopf vor?

Vielleicht regt er sich auf. Über Tempolimite, Ampeln, Wohnwagen. Vielleicht fühlt er sich ausgebremst. Und dann kommt ein Gedanke. Was, wenn das für ihn nicht nur nervig ist – sondern politisch?

Vielleicht sieht er sich irgendwann als Kämpfer für freie Strassen. Erst ein paar Witze mit Kollegen, dann ein ernst gemeinter Vorschlag. Irgendwann ein Verein, später eine Bewegung. Sie treffen sich, reden, planen. Sie geben sich ein Logo. Sie fordern, dass man freie Fahrt nicht länger kriminalisiert.

Es beginnt mit einem Stammtisch. Wird zu einer Petition. Dann zu einer Kampagne. Bald hängen Plakate: «Tempo 120 für alle», «Langsamfahren ist Zeitverschwendung». Eine Bewegung formt sich. Für weniger Regeln, mehr Geschwindigkeit und das Recht, sich nicht anpassen zu müssen.

In diesem Moment schaltet die Ampel auf grün. Ich bin wieder da. Vor mir: quietschende Reifen. Der weisse Kombi schiesst los, überholt gleich mehrere Autos auf einmal. Keine Frage: Der meint es ernst.

Vielleicht ist es keine Bewegung. Noch nicht. Aber ein Anfang ist gemacht.