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Jürg flickt Veloschläuche überall - auch im Zug.

«Reifenheber.»
Ich reiche den Reifenheber.
«Pumpe.»
Ich gebe sie rüber.
«Schmirgelpapier.» Jürg raut den Veloschlauch ums Loch auf.
«Leim.» Der ist noch zu.
«Flicken.» Die Schutzfolie ist statisch geladen. Es kostet einige Nerven, bis der schwarze Flicken mit dem roten Rand herausgepult ist.

Jürg und ich sitzen auf dem ersten Jurahügelzug im Gras. Unsere Körper sind vom Strampeln noch warm. Eine Brise sorgt für Abkühlung. Jürgs E-Bike hat einen Platten. Wir zählen bereits zwei Flicken auf dem Schlauch. Nun kommen noch zwei dazu. Die spitzen Steine des Jurakalks auf dem Single Trail haben zwei lange Schlitze in den Schlauch gedrückt.

Ich bin dran mit Pumpen.

Eigentlich tut die Pause gut auf dem Weg vom Chasseral über den Bergrücken nach Biel. Begonnen hat alles mit der Busfahrt ab St.-Imier. Die Busfahrerin ist supernett. Hilft sogar beim Fixieren der Bikes und fährt dann umsichtig die gewundene Strasse hoch. Diese ist so eng, dass zwei oder drei Autofahrer, die uns begegnen, zurücksetzen müssen, um den Bus vorbeizulassen. Die Busfahrerin bleibt ganz gelassen, plaudert sogar noch mit einem Bekannten. Nur als der Abstand zwischen Bus und Auto beim Kreuzen unter fünf Zentimeter fällt, bleibt sie einen Moment lang ganz still.

Bei der Endstation verbaut der Nebel die Aussicht und die Bise droht uns wegzuwehen. Sie ist so kalt, dass sie an einen Wintertag erinnert.

Schnell ins Bergrestaurant Chasseral!

Das Selbstbedienungsrestaurant duftet nach Kaffee. Da sich meine eigene Kaffeemaschine in der Reparatur befindet, freue ich mich auf eine Tasse, die erste heute.

Der Nebel lichtet sich nicht. Die Tasse wird nochmals aufgefüllt. Der Wind lässt noch nicht nach. Wir geben die Jasskarten aus. Am Nebentisch tunken die Gäste ihre Gabeln ins Fondue. Meteo Schweiz sagt voraus, dass sich der Nebel am Nachmittag verzieht. Bald ist Nachmittag.

Wir geben die Karten noch einmal aus und dieses Mal werde ich vom Glück geküsst. Vier Trümpfe liegen in meiner Hand, auch Puur und Näll befinden sich darunter. 

«Komm, wir ziehen das jetzt durch», sag ich zu Jürg, während er die Karten wegräumt. In seiner Dreiviertelhose zieht es ihn nicht hinaus – ich muss mich auch überwinden.

Jürg montiert ein neon-oranges Spannset an seinem E-Bike, an dem ich mich festhalte und zieht mich bis zur Antenne beim Chasseral-Gipfel hoch. Ja, du hast richtig gelesen. Er schleppt mich ab. Das erinnert mich an eine Zeit, als man sich von starken Töfflibuebe-Armen hat abschleppen lassen. 

Vielleicht braucht es hier noch eine Erklärung zu unserem Bike-Setting. Mein E-Mountainbike ist – wie meine Kaffeemaschine auch – in der Reparatur. Bei der Kaffeemaschine habe ich keine Schuld. Beim E-Bike, naja.

Es ist so, dass Jürg und ich gerne an unseren Bikes herumbasteln. Da jedes E-Bike laut Gesetz ein Licht braucht und meines noch keines hat, machten wir uns an die Arbeit. Ich will nämlich ein elektrisches Licht, das vom E-Bike-Akku gespeist wird. Wir prüften also, wo wir das Lichtkabel ins Unterrohr einziehen müssen und fanden prompt eine Klappe mit zwei Schrauben. Und so schraubten wir ein wenig und noch ein wenig, bis … Habe ich schon gesagt, dass mein Bike erst zwei Wochen alt ist?

Wir haben dann beschlossen, den Schraubenzieher wegzulegen und einen der insgesamt nur drei Canyon-Servicepartner schweizweit anzurufen. Aus diesem Grund verbringt mein E-Bike diese Tage bei Sport2go in Biberist, während ich mit einem Bio-Bike in den Seilen hänge.

Zurück zum Chasseral.

Jürg legt das Spannset nach wenigen hundert Metern auf der Höhe der Antenne auf 1607 Meter über Meer weg. Wir finden den Single Trail Richtung Les Près-d’Orvin sofort, biken über Schneefelder, Wiesen und Felder, später folgen Wälder.

Letztes Mal, als ich hier war, blühten die weiten Narzissenfelder gelb, die in vielen Reise-Blogs besungen werden. Heute aber hängen die meisten Blütenblätter alt und braun am am Blütenkopf.  Stattdessen gibt es teppichgrosse Stellen voller Knabenkraut. So hochragend und stämmig habe ich sie noch an keinem anderen Ort gesehen. Die Blütenblätter auffallend fleischig. Ob es dem regenreichen Frühling geschuldet ist? Oder der besonderen Erde? Ich bin fasziniert, auch von der Farbe, deren Ton zwar kaum vom dezenten Violette der  Veilchen daneben wachsend zu unterscheiden ist, aber heller und leuchtender sind – wie kleine Sonnen.

Meteo Schweiz hatte recht. Der Nebel verzieht sich tatsächlich und die Bise wandelt sich in eine Brise. Die Geschichte vom Platten und der Pause habe ich bereits erzählt. Was noch fehlt ist die andere Geschichte. Die vom Platten im Zug auf der Fahrt von Biel nach Bern. Und die geht so.

«Reifenheber.»
Ich reiche den Reifenheber.
«Pumpe.»
Ich gebe sie rüber.
«Schmirgelpapier.» Jürg raut den Veloschlauch ums Loch auf.
«Pumpe».

Jürg ist mit pumpen dran.

Bike beim Veloflicken

Jürg flickt den Schlauch der fetten Pneus seines E-Bikes. Das Bio-Bike mit seinen eleganten Gravel-Pneus macht keine Mätzchen.

Die Knabenkräuter stehen am 9. Mai auf dem ersten Jurahügelzug in voller Blüte. 

Das Schneefeld auf dem Chasseral überquer ich mit den Gravel-Pneus dann doch lieber zu Fuss.

Das Schneefeld auf dem Chasseral überquer ich mit den Gravel-Pneus dann doch lieber zu Fuss.