You are currently viewing Abschiedsgruss an einen Lift
Bildautor: Jürg Curschellas

Das Briefpapier der Hausverwaltung knistert in meinen Händen. Der historische Personenlift der Marke Emch, ein heute seltenes Exemplar mit Baujahr 1998, soll schon bald ersetzt werden

Sanft hallt die Nachricht durch das Treppenhaus, sie durchdringt Raum und Zeit.

Die Wohnungsbesichtigung vor bald zwei Jahren war an einem milden Frühlingsabend. 

Auf dem ersten Treppenabsatz bemerkte ich dein warmes Rot, deinen Handlauf, silberfarben, und dein Glasportal wie ein Gluckloch in die anderen Wohnungen im Haus. Deine Kleid wirkte robust und vertrauenserweckend. Ich dachte «gut einen Lift zu haben» und gleichzeitig ging mir durch den Kopf «aber fit will ich bleiben, dich nur im Notfall besteigen.» Ach, was sinnierte ich da. Das Bewerbungsschreiben stand noch aus und die Zusage zur Wohnung lag in weiter Ferne.

Es ging schneller als erwartet: Zehn Tage später lag Gewissheit vor, ich bestellte den Umzugswagen.

Den Vorsatz, bloss Treppen zu steigen, brach ich bereits in der ersten Stunde. Ob es bloss der schweren Zügeltaschen wegen war oder ein Hauch von Neugierde mit schwang? Mich dünkt, es klingt beides an.

Deine Türe hat beim Öffnen diese explizite Schwere. Sie erinnert mich an eine Schulhauspforte, die von Generationen Schülern mit Körperkraft aufgezogen wird. Deine Kabine lässt mich automatisch an nordische Einrichtungshäuser denken. Ein Ton zwischen Türkisblau und Jadegrün.

Die Namen der Hausbewohner hängen in Metallplättchen eingraviert neben den Etagenknöpfen. Die Anordnung verwirrte mich. Ich zählte die Stockwerke ab, bevor ich drückte und vertat mich trotzdem.

In anderen Wohnblockliften spiegelt das Konterfei in doppelwandigen Metallkabinen, die unpersönlich hinauf- und hinuntergleiten und einem in irgendeiner Etage ausspucken. Mit dir fühlt sich die Reise allerdings ein wenig wie in einem Luxus-Hotel an. Durch das Fenster sieht man die Baumwipfel näher kommen, kann das Labyrinth der Äste vermessen und die Krähen zählen, die sich manchmal darauf niederlassen.

Erst bei der zweiten oder dritten Fahrt las ich die handgeschriebene Nachricht an der Liftwand. Man solle nichts auf die schwarze Schwelle stellen. Schnell zog ich die Einkaufstasche weg und bemerkte dann auch noch gleich, dass vor mir Betonmauern und Metalltüren vorbei glitten. Wie selten das heutzutage ist. Die Materialien fühlten sich auf meinen Fingerkuppen erfrischend an.

Später, als ich eingerichtet war, pendelte sich mein Leben allmählich ein. Mit leichtem Gepäck stieg ich Treppen, mit schwerem erlaubte ich mir den Lift zu benutzen – oder wenn ich melancholisch war. Dienstags stellte ich den Wäschekorb in die Liftkabine und am Wochenende balancierte ich funkelnde Aperol Spritz-Gläser zum blühenden Garten, wo meine Freunde im Schatten der Bäume warteten.

Oh, erinnerst du dich an jenen Herbsttag, als der Quartierkater, wir haben ihn Prinz getauft, durch deine Tür geglitten war? Während der Fahrt schmiegte er sich an meine Beine und verliess dich oben mit erhobenem Schwanz. Wie sollte ich darauf reagieren? Denn eigentlich ist es untersagt, Prinz ins Haus zu lassen, doch findet er immer einen Spalt, durch den er schlüpfen kann und zweitens sind Lift fahrende Katze selten anzutreffen.

Später hörte ich, Prinz sei mal auf dem Liftschacht mitgefahren und habe damit eine kleine Rettungsaktion ausgelöst. Ich lächelte. 

Unsere letzten gemeinsamen Tage brechen an. Gute Freunde sitzen dann zusammen und erinnern sich. Wenn ich nach dir rufe, antwortest du mit einem Klackern, das ganz oben vom Liftschacht kommt. Abends meldest du dein Näherkommen mit einem Lichtstrahl an. 

Hätte ich den Brief nicht geöffnet, würdest du vielleicht nicht ersetzt werden, rede ich mir ein. Dann seh ich uns gemeinsam älter werden in diesem uns vertrauten Haus.